
Getreide-Unverträglichkeiten
(Weizenallergie, Zöliakie, Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität)
Ein immer größerer Personenkreis der westlichen Welt leidet unter Verdauungsbeschwerden nach dem Verzehr von Getreideprodukten. Schätzungsweise sind allein in Deutschland 8 Mio. Menschen davon betroffen. Restaurants, Supermärkte und Bäckereien haben sich längst angepasst und bieten zahlreiche glutenfreie Produkte und Speisen an.
Wie lässt es sich erklären, dass die Menschen in kurzer Zeit derart empfindlich auf Getreide reagieren, wo Brot zu Omas und Opas Zeiten noch unser Hauptnahrungsmittel war? Auch lässt sich bei den meisten Betroffenen keine Zöliakie (Beschreibung weiter unten) oder Weizenallergie nachweisen.
Während man bisher davon ausging, dass der Getreidebestandteil Gluten für solche gesundheitlichen Beschwerden verantwortlich sein müsste, zeigt die wachsende Datenlage aktueller Studien, dass auch andere, weniger bekannte Inhaltsstoffe des Getreides als Auslöser in Frage kommen.
Alle nachstehend aufgeführten Getreidebestandteile können zu intestinalen und extraintestinalen Beschwerden führen:
- Gluten (= Klebereiweiß)
- Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI)
- Weizenkeim-Agglutinine (WAG)
- Albumine, Globuline, Lipidtransfer-Proteine (LTP)
- FODMAPs
Für Beschwerden, die nachweislich nicht auf eine Autoimmunreaktion oder allergische Reaktion zurückgeführt werden können, wurde der Begriff Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (= NZWS, Synonym: Glutensensitivität) geprägt. Das Beschwerdebild umfasst folgende Symptome:
- Diarrhoe
- Blähungen
- Darmkrämpfe
- Übelkeit
- Appetitlosigkeit
- Müdigkeit, Schwäche
- „benebelt“ sein (brainfog)
- Hautentzündungen, Ekzeme, Ausschläge
- Reduzierte Belastbarkeit
- Gelenk- und Muskelschmerzen
- Kopfschmerzen
- Anämie
- Ängstlichkeit, Depression
Gründe für die rasante Zunahme der getreideassoziierten Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Ziele bei der Kultivierung von Getreide sind eine permanente Ertragssteigerung, eine hohe Schädlingsresistenz sowie die Anpassung an den Klimawandel. Um diese Anforderungen zu erfüllen, kommt es seit Jahrzehnten zu einer kontinuierlichen Überzüchtung der gängigen Getreidesorten, vor allem des Weizens.
Als Folge dieser modernen Zucht- und Anbaumethoden wurde ein „Hochleistungsgetreide“ mit einer veränderten Proteinzusammensetzung erschaffen, welches nun einen höheren Anteil immunreaktiver Komponenten und obendrein einen verminderten Gehalt an Mineralien, Vitaminen und Aminosäuren besitzt. Vor allem wurde dabei auf eine Erhöhung der ATI = α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (siehe unten) Wert gelegt, um die Pflanzen vor Fressfeinden und Schädlingen zu schützen.
Bei regelmäßigem Verzehr von Hochleistungsgetreide und der daraus erhöhten Aufnahme von ATI können jedoch chronische Entzündungsreaktionen an der Darmschleimhaut und eine gesteigerte Darmpermeabilität ausgelöst werden sowie „Stille Entzündungen“ (= Silent Inflammation) im ganzen Organismus gefördert werden.
Vor allem industriell hergestellte Fertigbackwaren enthalten neben diversen gesundheitsschädigenden Zusatzstoffen viele ATI. Bei handwerklichem Backen in Kleinbetrieben und Biobäckerein werden dagegen durch die längere Teigführung ATI abgebaut und durch die längere Gehzeit des Teigs FODMAPs (siehe unten) vermindert.
Ein weiterer fataler Missstand unserer heutigen Zeit ist das Versprühen des Breitbandherbizids Glyphosat in der Landwirtschaft. Glyphosat reichert sich in den Getreidekörnern (und anderen Ackerpflanzen) an und gelangt beim Essen der betreffenden Nahrungsmittel in unseren Körper. Aktuelle Studien beweisen, dass Glyphosat stark antibiotisch wirkt und im Darm die physiologische Darmflora schädigt (= Darmdysbiose), was weiteren Erkrankungen Tür und Tor öffnet.
Getreidebestandteile mit pathogener Wirkung
1. Gluten (= Klebereiweiß)
Gluten ist ein Sammelbegriff für ein Gemisch aus getreidespezifischen Proteinen. Diese Proteine bestehen aus Prolaminen (z.B. Gliadin des Weizens) und Gluteline (z.B. Glutenin des Weizens).
Gliadin ist der Hauptauslöser der Zöliakie und der Weizenallergie.
Gluten ist enthalten in Weizen, Roggen, Dinkel, Gerste, Kamut, Einkorn und Emmer. Hafer enthält zwar kein Gluten, bei einer Unverträglichkeit auf Gluten muss man ihn aber dennoch meiden, weil Hafer beim Anbau und bei der Verarbeitung kontaminiert wird. Hier bitte auf glutenfreien Hafer ausweichen!
Neben autoimmunen Reaktionen (-> Zöliakie) und allergischen Reaktionen führt Gluten auch zu einer erhöhten Zonulin-Freisetzung im Darm, was einen Leaky Gut begünstigen oder auslösen kann.
2. α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI)
α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) sind Proteine, die von Getreidepflanzen und anderen Pflanzen gebildet werden, um sich vor Schädlingen zu schützen – sogenannte Fraßgifte. Getreide- und andere Pflanzen enthalten somit natürlicherweise geringe Mengen toxischer Stoffe, die bei moderaten Konzentrationen sogar gesundheitsfördernd wirken können. Durch die Überzüchtung der Getreidesorten wurden die Fraßgift-Konzentrationen in Nahrungspflanzen jedoch künstlich erhöht. Das Pflanzengift wirkt jetzt schädigend auf den Menschen.
ATI stimulieren in der Darmschleimhaut lokalisierte Immunzellen (z.B. Makrophagen und Dendritische Zellen) und induzieren dadurch die Produktion und Freisetzung entzündungsfördernder Zytokine. Aufgrund der dadurch entstehenden Darmentzündung und erhöhten Darmpermeabilität gelangen Bakterien oder bakterielle Produkte vom Darminneren in den Blutkreislauf (= Endotoxinämie). Dies hat entzündungsfördernde Konsequenzen für den gesamten Organismus zur Folge. Bestehende entzündliche Krankheiten und Autoimmunerkrankungen (z.B. Multiple Sklerose, Chronisch-Entzündliche-Darmerkrankungen, Hashimoto, Rheumatische Arthritis) können dadurch verstärkt werden.
Aber es gibt noch eine weitere Problematik: Wenn viele ATI in den Darm gelangen, kann sich der oxidative Stress sowie der nitrosative Stress im Körper erhöhen. Dies kann zu einer mitochondrialen Dysfunktion mit nachfolgendem Chronic-Fatigue-Syndrom führen.
ATI sind hauptsächlich in glutenhaltigen Getreidesorten enthalten. Die ATI der verschiedenen Getreidesorten unterscheiden sich in ihrer immunologischen Bioaktivität hinsichtlich des Ausmaßes der Stimulation:
ATI – immunologische Bioaktivität | |
hoch (100%): | Weizen |
hoch (> 50%): | Roggen, Dinkel, Kamut, Emmer, Gerste |
mittel (< 20%): | Buchweizen, Einkorn, Hirse, Soja |
niedrig (< 10%): | Hafer, Quinoa, Linsen |
sehr niedrig (< 2%): | Amaranth, Reis, Mais, Kartoffeln |
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3. Weizenkeim-Agglutinin (WGA)
Eine Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität kann auch durch Pflanzenlektine ausgelöst werden. Pflanzenlektine sind natürliche Inhaltsstoffe von Hülsenfrüchten, Gemüse und Vollkorngetreide zum Schutz vor Krankheiten und Schädlingen. Zu den bekanntesten Lektinen zählen die Weizenkeim-Agglutinine (engl. wheat germ agglutinin = WGA) der Weizenkörner. Aber auch andere Getreide wie Roggen, Gerste und Hafer enthalten Lektine.
Weizenkeim-Agglutinine binden spezifisch an Kohlehydratstrukturen auf Immunzellen im Darm und veranlassen so die Freisetzung entzündungsfördernder Stoffe. Dies kann – neuesten Studien zufolge – Darmepithelzellen schädigen und einen bereits bestehenden Leaky Gut fördern.
Weitere gesundheitsschädliche Auswirkungen des WGA sind:
- Förderung chronischer Entzündungsprozesse („Silent Inflammation“)
- Aktivierung des Immunsystems -> Gefahr von Allergien und Autoimmunerkrankungen
- Eventuell Beeinträchtigung des Glukose-Stoffwechsels (durch Hemmung des Sättigungshormons Leptin und Aktivierung von Insulinrezeptoren) und dadurch abgeschwächtes Sättigungsgefühl -> Gewichtszunahme
Ob der Körper Antikörper gegen Weizenkeim-Agglutinin (Anti-WGA-IgG, -IgA) gebildet hat, kann mittels einer Blutprobe überprüft werden, und gilt als Nachweis einer Überempfindlichkeit auf Weizenkeim-Agglutinin.
4. Albumine, Globuline und Lipid-Transfer-Proteine
Albumine, Globuline und Lipid-Transfer-Proteine sind Proteine der Getreidepflanze, die bei Menschen Allergien auslösen können. So gilt das Lipid-Transfer-Protein Tri a 14 als das Hauptallergen beim Bäckerasthma.
5. FODMAPs
FODMAPs kommen nicht nur in glutenhaltigem Getreide (Weizen, Gerste, Roggen, Dinkel) sondern in zahlreichen Nahrungsmitteln vor. Die Abkürzung FODMAPs steht für Fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole. Es handelt sich hierbei um schwer verdauliche, im Dünndarm schlecht resorbierbare kurzkettige Kohlehydrate, die den Magen und Dünndarm größtenteils unverdaut passieren und rasch in den Dickdarm gelangen. Im Dickdarm werden sie von den dortigen Bakterien fermentiert und zu kurzkettigen Fettsäuren (Butyrat, Acetat, Propionat) umgewandelt.
Molekulargenetische Analysen zeigen, dass Patienten, deren Darmmikrobiom erhöhte Keimzahlen der Bakterien Dorea spp., Alistipes spp., Bacteroides spp., Butyrivibrio crossotus, Eubacterium spp., Ruminococcus spp., Roseburia spp. und Faecalibacterium prausnitzii aufweist, bei der Fermentation zu viele Gase produzieren. Der entstehende Dehnungsreiz aktiviert intestinale Schmerzsensoren. Ferner kommt es zu einem vermehrten osmotischen Einstrom von Flüssigkeit in den Darm. Die Folge sind Diarrhoen und Bauchkrämpfe.
Vor allem Reizdarmpatienten mit einem überempfindlichen Darmnervensystem, leiden stark unter Darmbeschwerden, die durch FODMAPs ausgelöst werden.
Weizenallergie
Bei der Weizenallergie handelt es sich um eine klassische IgE-vermittelte und gegen Weizenproteine gerichtete Typ-I-Allergie. Auslöser einer Weizenallergie können alle im Weizen vorkommenden Proteine sein wie Glutene, Albumine und Globuline. Das Immunsystem stuft diese Proteine als fremd ein und löst so eine Kaskade von Reaktionen aus.
Bei einer Weizenallergie reagiert der Körper nach dem Verzehr von Weizenprodukten bereits nach wenigen Minuten bis Stunden mit typischen Allergie-Symptomen:
– Juckreiz im Mundbereich
– Schwellungen der Schleimhäute (= Angioödem), verstopfte Nase
– Juckende, tränende Augen
– Hautentzündungen, Ekzeme, Nesselsucht
– Atemnot, Asthma
– Übelkeit/Erbrechen
– Diarrhö
– Darmkrämpfe
Es besteht außerdem die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks.
Eine Sonderform der Weizenallergie ist die „weizenabhängige anstrengungsinduzierte Anaphylaxie (WDEIA)“, bei der der Körper mit schweren allergischen Reaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock nach dem Verzehr von Weizen reagiert – aber nur in Kombination mit anderen Einflussfaktoren wie:
- Körperliche Anstrengung / Sport
- Medikamente (v.a. Aspirin und andere NSAR)
- Alkoholkonsum
- Infekte
- Müdigkeit / Stress
- Hormonelle Faktoren, z.B. Menstruation
Nach einer durch einen Allergologen eindeutig festgestellten Weizenallergie müssen nicht nur der Weizen sondern auch verwandte Getreidesorten vom Speiseplan gestrichen werden, weil es hier zu Kreuzreaktionen kommen kann.
Im Gegensatz zur Zöliakie verschwindet eine in der Kindheit diagnostizierte Weizenallergie im Erwachsenenalter oft wieder.
Zöliakie (Sprue, Glutensensitive Enteropathie)
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des Dünndarms. Auslöser ist das in vielen Getreidesorten vorkommende Gluten (siehe oben).
Der Verzehr von nur Kleinstmengen an Getreideprodukten, die Gluten enthalten, löst eine zytotoxische T-Lymphozyten-Reaktion aus. Es kommt zu einer Entzündung sowie einem Umbau des Dünndarm-Epithels. Die Darmzotten (= fingerförmige Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut) flachen ab und das Dünndarm-Epithel kann nicht mehr ausreichend Nährstoffe aufnehmen.
Eine Zöliakie manifestiert sich meist schon in der Kindheit, kann sich aber auch erst im Erwachsenenalter entwickeln.
Bitte beachten: Nur 30% – 40% der erwachsenen Zöliakie-Patienten haben klassische und starke Magen-Darm-Beschwerden! Bei vielen Patienten stehen neurologische und psychiatrische Symptome im Vordergrund. Viele Leidgeprüfte konnten deshalb bisher keinen Zusammenhang zwischen Zöliakie und ihren Beschwerden herstellen.
Wenn Sie an mehreren der folgenden Symptome/Krankheiten leiden, sollten Sie eine Zöliakie ausschließen:
- Diarrhoe
- Blähungen
- Darmkrämpfe
- Übelkeit, Appetitlosigkeit
- Müdigkeit, Erschöpfung, Unwohlsein
- Gewichtsabnahme
- Eiweißmangelödeme, Fettstühle
- Mangel an Zink, Kalzium, Folsäure, Vitamin A, Vitamin B12, Vitamin B3, Vitamin D
- Chronischer Eisenmangel
- Erhöhte Leberwerte im Blut, für die es keine Erklärung gibt
- Zahnschmelzdefekte, Zungenbrennen, Mundschleimhautentzündungen
- Osteoporose
- Hautentzündungen, Psoriasis
- Depressionen, Ängste
- Niedrige Stressschwelle
- Unruhe, Nervosität
- Neuropathien
- Zyklusstörungen, reduzierte Fruchtbarkeit, Früh-/Fehlgeburten, Endometriose
- Weitere Autoimmunerkrankung (v.a. Hashimoto, Diabetes mellitus Typ 1, etc.)
- Bei Kleinkindern kommt es hauptsächlich zu einem aufgeblähten Bauch, Diarrhoe, Muskelschwund, Gewichtsabnahme und Wesensveränderungen.
Zöliakie – Diagnostik
Um eine Zöliakie sicher abzuklären, sollten folgende Untersuchungen gemacht werden (wobei vor der Diagnose nicht mit glutenfreier Ernährung begonnen werden sollte):
- Anamnese inkl. Familienanamnese; klinische Untersuchung
- Bestimmung im Blut: HLA-DQ2/-DQ8 (genetische Veranlagung)
- Bestimmung im Blut: IgA-/IgG-Antikörper gegen Gewebstransglutaminasen
- Bestimmung im Blut: IgA-/IgG-Antikörper gegen diamidiertes Gliadin
- Dünndarmbiopsie (= Gewebeentnahme)
Von Zöliakie Betroffene müssen lebenslang eine strikte glutenfreie Diät einhalten.
Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (NZWS)
Wie bereits oben erwähnt, beschreibt die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität ein Beschwerdebild, das sich durch eine Unverträglichkeit verschiedener Getreidebestandteile auszeichnet, und bei dem diagnostisch eine Zöliakie und Weizenallergie ausgeschlossen wurden.
Die labordiagnostischen Möglichkeiten, um die Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität sicher nachzuweisen, sind bisher noch begrenzt. Man lässt am besten alle glutenhaltigen Produkte für ca. 6 Wochen komplett weg. Wenn dann die Beschwerden stark zurückgegangen sind, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität handelt.